Porträts
Tanja Dückers in neue
deutsche literatur Nr. 4/03:
Wut & Poesie
Die vielschichtigen Texte der Wiener Autorin Bettina
Balàka
Kaum hat heutzutage ein junger Autor ein, zwei Bücher
veröffentlicht, wird er schon von übereifrigen
Rezensenten als „begabter Lyriker“, als „genau
beobachtender Essayist“ oder als „gesellschaftliche
Konditionen präzise auslotender Romancier“ gepriesen.
Hinter allem Lob fällt es dem Opfer wohlgemeinter
Kompliment-Etiketten schwer zu erkennen, daß er,
kaum hat er die literarische Bühne betreten, schon
einem einzigen Genre auf Gedeih und Verderb zugeordnet
wird. Daß ein Autor mehrere Schreibweisen gleichermaßen
zur Komplettierung seines Ausdrucksbedürfnisses
benötigen, gleichermaßen in ihnen brillieren
kann, verwirrt Leserschaft wie Rezensenten oft.
Bettina Balàka, in Österreich längst
eine der bekanntesten, mit so gut wie allen Preisen
ausgezeichnete Autorin der jüngeren Generation,
hat Romane geschrieben („Der langangehaltene
Atem“, 2000), Erzählungen (zuletzt „Unter
Jägern“, 2002), Gedichte (zuletzt „Dissoziationen.
Gedichte aus Pflanzen und Vögeln“, 2002),
Theaterstücke (zuletzt „Zu dünn, zu
reich“, 2001), Hörspiele (u.a. „Wie
ich Mutter wurde“, 2002) und Essays („Messer“,
2000). Fast hat man den Eindruck, daß die Autorin
von ihren Themen so besessen ist, daß sie sich
ihnen in unerbittlichem Forscherdrang auf immer neue
Weise annähern muß, um sie von einem minimal
veränderten Blickwinkel zu betrachten und zu analysieren.
Balàkas vornehmlich weibliches Personal kämpft
um Selbstfindung, um Freiheit, um Orientierung, um Überwindung
von Einsamkeit, gegen aufgezwungene Zweisamkeit, gegen
diffuse gesellschaftliche Kontrollen und konkrete private
Zwänge. So unterschiedlich ihre Figuren sind,
die in Gestalt von orientierungslosen Touristinnen,
zähen Ehegattinnen, in sich gekehrten Hausfrauen
oder mutigen Müttern durch ihre Prosa-Werke wandern,
sich verwandeln in Trollblumen, Saatkrähen, Türkentauben,
Vogelkirschen und Steppenhexen in ihrer Poesie, immer
sind es unruhige und beunruhigte Geister, denen gemeinsam
ist, daß sie in ihren jeweiligen personalen oder
naturalen Kontext nicht integriert sind. Immer findet
ein Aufbruch statt: rein organisch, nur gedanklich
oder in Form einer konkreten Flucht. Balàkas
Texte – um einen genreneutralen Begriff zu verwenden – sind
von dem Wunsch nach Veränderung und Metamorphose
gekennzeichnet. Doch immer ist schon vor dem Antrittspfeifen,
vor jedem inneren oder äußeren Standortwechsel
ein Gefühl von Verlust und Melancholie bestimmend.
Das Besondere an ihren Figuren ist, ob in prosaischen
oder poetischen Zusammenhang (oder im Duktus ihrer
Essayistik), daß sie tatendurstig und resigniert
sind. Sie handeln, als wären sie von ihrer Befreiung,
der Möglichkeit von Liebe, von gelungenen Kampf
gegen fremde, abstrakte Mächte überzeugt,
doch sie sind es nicht. Etwas von einer „messianischen
Hoffnung“ (Walter Benjamin) erfüllt diese
von düsterer Wut heimgesuchten (Frauen-)Figuren.
Weder passive Weltflucht noch vitalistisch-zukunftsorientiertes
Kämpfertum teilt sich in den Texten Balákas
mit; hier herrscht reflektiertes, „aktives“ Fliehen
und entschlossenes, selbst-bewußtes Scheitern
vor.
Für gewöhnlich benutzt Balàka eine
phantasievolle, bilderreiche Sprache, aber sie kann
auch – in erstaunlicher Versatilität – plötzlich
einen gänzlich anderen Tonfall anschlagen: In
ihrem in Österreich vielbeachteten Essay „Messer“ setzt
sie sich mit der steigenden Popularität schönheitschirurgischer
Eingriffe auseinander und verwendet virtuos die für
eine Polemik unverzichtbaren Ingredienzen von Knappheit,
Provokation, Verwendung von Reizwörtern und dynamischer
Pointiertheit. Hier gibt sich die Autorin zwar scharfzüngig
und direkt, doch der grundlegende Pessimismus ihres
Textes, der in der ironischen Aussage gipfelt, daß die
Frauen eigentlich vor dem umfassenden Erfolg der Kosmetikindustrie
und der kollektiven Internalisierung von Schönheitsnormen
ergebenst einen Kniefall machen sollten, „[...]
dieser umfassende Gesamtsieg des Patriarchats nach
hundert mühsamen Jahren der Frauenbewegung, den
angeblich niemand bemerkt hat, [...] ist so beeindruckend
und überwältigend, daß man nur in einen
tiefen Hofknicks sinken kann“, erinnert doch
wieder an die „stürmische Melancholie“ ihrer
Prosa und Lyrik.
Hier findet kein munterer 70er-Jahre-Parolen-Feminismus
mehr statt, hier wird eine ebenso beredte wie nüchterne
Bestandaufnahme gemacht – allerdings mit dem „blinden
Flecken“ in der Wahrnehmung, daß auch Männer
zunehmend unter genau diesen Normen und Zwängen
leiden.
In ihrer Prosa und Lyrik verwendet Balàka wiederum
eine ganz anderes sprachliches Instrumentarium; ihre
sensible Imagination überträgt die Autorin
an ihre bisweilen entrückt erscheinenden Protagonistinnen:
Da ist Karin, ein schüchternes Mädchen, das
seine Matura bei den Ursulinenschwestern macht und
deren Moral übernommen hat. Bis Andreas in ihr
Leben tritt – Andreas, der jedoch die meiste
Zeit über unerreichbar ist, den Karin erst langsam
für sich gewinnen muß, der ihr Seiten abverlangt,
die ihr neu und fremd sind. Karin beschreibt ihre Annäherung
an Andreas wie eine via dolores, einen Weg durch „dreißig
Tore“, „hohe steinerne Tore, wie vor einem
Tempel, der im indischen Dschungel versank. Auf dem
ersten saßen die Affen (...), auf dem zweiten
die Geier (...) Dann kam das Tor, von dem es regnete,
in kalten Wasserfällen oder in schwefeligen Dämpfen
(...) das eingewachsene Tor, ohne Schlösser, Spalten
und Scharniere, das Tor, das hochgeschossen war wie
Zauberbohnenkraut. Es gab Attacken von Insekten, von
Schwertern, von Pech. Irgendwann schließlich
kam das Tor, das geschmückt war mit den Reliefs
der erotischsten Dinge, alle Siegel und Geheimnisse
waren dargestellt, die Körper und ihre Verbindungen,
die Möglichkeiten und der ganze Weg, sie schienen
so nah und verständlich, sie blieben unerreichbar
und immer aus Stein. Dann, nachdem Karin ein paarmal
mit Andreas geschlafen hatte, bemerkte sie, daß etwas
anders war (...)“
Man spürt den Versuch der Autorin, diesen im Leben
verlorengegangenen Figuren im Text selbst ein schillerndes
Zuhause, eine mit dem Schmuck ihrer zahlreichen Wort-Neuschöpfungen
ausgestattete ästhetische Heimat zu geben. In
ihrer unalltäglichen, bewußt artifiziellen
Sprache bereitet Balàka ihren Figuren, über
die sie mit distanziertem Stolz, kühl, aber respektvoll,
als wären sie ferne Kolleginnen, schreibt, ein
luftiges Zuhause in der Kunst – dort eigentlich
erst sind diese ziellosen Aufbruchsgeister angekommen,
dort verwurzelt, diese Wesen, die nicht über verlorengegangene
Paradiese klagen, sondern darüber, nie eines außerhalb
ihrer Vorstellungskraft besessen zu haben.
Wenn Baláka etwas nicht tut, dann ist es, leicht
verständliche Alltagsprosa zu schreiben. Ihre
zwar im Sujet sehr zeitgemäßen Texte, die,
auch wenn sie solche Namen nicht nennen, doch von „patchwork-Familien“, „Singles“ und „Lebensabschnittspartner“ sprechen,
irritieren im guten Sinne durch den gewaltigen sprachlichen
Pomp, den dem Leser nonchalant serviert wird: Bei Balàka
wird „chopinblaue“ Suppe gelöffelt,
wird ein Windstoß als „Teufel“ beschrieben,
als „schwarzer Schatten, der Menschen verschlang“.
Bei Balàka treten die Worte alle im Festtagskostüm
an; der die Bequemlichkeit nicht zu sehr liebende Leser
wird sich an ihren Neuschöpfungen delektieren,
hier herrscht nicht Freude am Spiel in Jandl-Manier
vor, hier werden keine Fingerübungen getätigt,
hier hält jemand die Worte wie Kristall vor die
Sonne, um die Farben jedesmal in einem anderem Licht
leuchten zu sehen. Doch manchmal übertreibt Baláka,
gelegentlich wird redundantes Wortgeklingel sichtbar
(„in der sicheren Entfernung / schützt eine
Windjacke / vor der Windhose nicht“), („verführt
niemals verfrüht“). Nicht jeder Parallelismus,
jede Anapher, jede bewußte Repetierung erscheint
originell oder inhaltlich gestützt. Zu leicht,
zu zufällig wird aus „Atem“ gleich „Drachenatem“,
aus einer Matratze ein „Matratzenteig“.
Manchmal wäre weniger mehr gewesen. Bisweilen
spürt man zu sehr den Ernst und die Ambitioniertheit
der Autorin, die sich vorgenommen hat, ein Buch zu
schreiben, wie noch keines geschrieben wurde. Dennoch
hat dieser Gestus, den sonst eher männliche Autoren
bemühen, in seiner Unbedingtheit und der schlichten
Könnerschaft der Autorin, der man anmerkt, daß nicht
nur Talent, sondern auch Durchhaltevermögen und
Disziplin sie weit gebracht haben, etwas Bestechendes
und Faszinierendes. Man spürt, hier schreibt jemand
nicht ein, zwei, drei modische und raffinierte Bücher,
sondern hier hat jemand ein Lebensthema, hier arbeitet
jemand unermüdlich an seinem Lebenswerk.
Helmut Kretzl in der Wiener Zeitung, 21. April 2000:
Die 34-jährige Bettina Balàka gilt als
eine der interessantesten jüngeren Autorinnen Österreichs.
Nach diversen Auslandsaufenthalten und einem Dolmetschstudium
lebt die gebürtige Salzburgerin heute mit ihrer
kleinen Tochter Pia als freie Schriftstellerin in Wien.
Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien (darunter
der Ö1-Essay-Preis 1999, der Meta-Merz-Preis 1999,
der Förderungspreis der Stadt Wien 1997, der Alfred
Gesswein-Literaturpreis für Lyrik 1991 und der
Rauriser Förderungspreis 1992).
Die Wohnung der Schriftstellerin
Bettina Balàka
im 8. Wiener Bezirk ist freundlich eingerichtet. Reisemitbringsel
verströmen Fernweh. Bücher stehen brav in
den Regalen, dazwischen fein säuberlich geordnete
Behälter mit Papieren und Texten. Durchorganisierte
Systematik statt kreativ-chaotisches Durcheinander. Überall
Babyutensilien: Fläschchen, Spielzeug, frische
Windeln auf Haufen gestapelt. Auf einem Tisch in der
Mitte des Raumes steht das Zentrum ihres Universums,
der Computer.
Während Kinder ihrer Altersgruppe noch Berufswünschen
wie Polizist, Astronaut oder Krankenschwester anhingen,
war zumindest diese Frage für die kleine Bettina
Balàka kein Thema mehr: Schon im zarten Volksschulalter
entschloss sie sich, Schriftstellerin zu werden. Erstmals
aufgefallen ist ihr literarisches Talent, als die Lehrerin
den Tafelklasslern das Schreiben eines Gedichts zur
Hausübung aufgab. Super,
das kann ich schon, habe ich gedacht. Daheim hatte
ich schon etliche Gedichte
in der Schublade, ich habe die besten herausgesucht,
noch einige dazugeschrieben und die dann vorgetragen.
Die Lehrerin war total entgeistert und bestellte sofort
die Eltern in die Schule. Rückblickend wundere
ich mich, dass meiner Mutter gar nicht aufgefallen
ist, dass ihre klitzekleine Tochter da Gedichte schreibt.
Das hat sie mir beigebracht, dann hat sie mich immer
korrigiert - es war eine richtig harte Schule: Da passt
der Reim nicht, dort ist die Metrik nicht in Ordnung.
Erst meine Volksschullehrerin hat erkannt, wie ungewöhnlich
es ist, wenn so ein kleines Kind solche Gedichte schreibt
mit Reim und Metrik und allem. An dem Tag, als die
Eltern hochoffiziell über ihre Begabung informiert
wurden, "ging ich wie immer entlang einer Thujenhecke
nach Hause, riss ein paar Zweiglein ab, zerkrümelte
sie, roch daran, und fasste in diesem schönen
Geruch den Entschluss, ‚Schriftstellerin zu werden'",
schrieb sie einmal über sich selbst.
In der Mittelschule setzten sich
die Erfolgserlebnisse fort: Einmal die Woche durfte
Bettina in der Deutschstunde
ihre Texte vorlesen. Für diesen Anlass schrieb
sie einen Fortsetzungsroman über ein Mädchen,
das durch eine Höhle im Wald in die Zeit der Dinosaurier
gelangt und dort Abenteuer erlebt. Einmal
war ich krank im Spital und die Deutschlehrerin hat
mir die Briefe
von den Mädchen aus der Klasse ans Krankenbett
gebracht. In jedem Brief stand: Bettina, du fehlst
uns so, weil wir die Fortsetzung der Geschichte nicht
wissen, kannst du sie nicht vielleicht auf Tonband
sprechen und uns schicken (lacht). Ich war irgendwie
enttäuscht, dass ich nicht persönlich vermisst
wurde, sondern nur meine Geschichte, andererseits war
ich natürlich auch geschmeichelt, dass man von
mir sogar am Krankenlager die nächste Fortsetzung
erwartete.
Welche Bücher haben Balàka geprägt?
Ein ganz wichtiges Buch ist "Wuthering Heights" von
Emily Brontë, über das ich auch meine Diplomarbeit
geschrieben habe. Das ist ein Roman, der bis ins kleinste
Detail so sorgfältig ausgearbeitet ist wie ein
Gedicht - ein hoher Anspruch, aber für mich war
es das Vorbild: die große erzählerische
Struktur zu kombinieren mit der Mikrostruktur, wo alles
bis in die kleinste lexikalische Einheit durchkomponiert
ist. Ich versuche auch, weibliche Vorbilder zu finden
in der Literaturgeschichte, Vorläuferinnen, Pionierinnen.
Interessanterweise gibt es da gerade in Österreich
mit Marlen Haushofer oder Ingeborg Bachmann durchaus
Frauen, die schon vor Elfriede Jelinek erste Schritte
aus dem androzentrischen Weltbild hinaus gewagt haben.
Stark beeindruckt haben sie auch
die englischsprachigen Autorinnen Sylvia Plath und
Anne Sexton, weil diese
Autorinnen es geschafft haben, in einer Zeit, wo es
noch kaum üblich war, einen spezifisch weiblichen
Blick in die Literatur hineinzubringen. Es gab in der
Vergangenheit ja viele Autorinnen, die versucht haben
zu verheimlichen, dass sie Frauen sind, das haben sie
teilweise auch tun müssen und unter männlichen
Pseudonymen geschrieben. Die Liebesgedichte der Anne
Sexton etwa sind ganz klar aus einer Frauenperspektive
geschrieben, in ihrer Körperwahrnehmung und der
sinnlichen Wahrnehmung.
Als Leserin, die
immer nur viele Bücher von Männern
liest, wird man irgendwann einmal schizophren, denn
der Held oder das lyrische Ich ist immer männlich.
Unwillkürlich will man sich ja identifizieren
mit dem Protagonisten und tut es auch. Da muss man
aber dauernd die Kluft überspringen zum anderen
Geschlecht und wird so geistig sozusagen zum Zwitter.
Das fängt schon an bei der Jugendliteratur. Die
jungen Genies, die alle Kriminalfälle lösen,
sind meist männlich.
Bettina Balàka ist eine engagierte Kämpferin
für die Rechte der Frauen. An deutschen Unis werden
bereits erste Arbeiten über sie verfasst, als
Beispiel für zeitgenössisches feministisches
Schreiben. Wie denkt sie über sogenannte Frauenliteratur?
Besteht da nicht auch die Gefahr der Eigenausgrenzung?
Es stimmt, diese Ghettoliteratur
will heute eigentlich niemand mehr, weder produzieren
noch lesen. Man geht
jetzt generell davon ab, sich auf das festzulegen,
sogar der Wiener Frauenverlag hat seinen Namen geändert
auf Milena Verlag. Es geht um gesellschaftliche Strukturen,
die alle betreffen und alle Geschlechter, inklusive
der Transsexuellen. Bei den Lesungen und Veranstaltungen
sitzen immer sehr viele Männer im Publikum, die
mitdiskutieren und die Bücher kaufen. Sie behaupten
oft, sie kaufen das Buch für ihre Tochter oder
für ihre Freundin, sind aber doch selbst zur Lesung
erschienen (lacht), also ich glaub schon, dass es sie
selbst auch interessiert (lacht).
Auf Recherche legt Bettina Balàka größten
Wert. An jedes Thema nähert sie sich gründlich
an, liest, forscht, legt Ordner an. Im Text müssen
diese gesammelten Fakten dann gar nicht konkret vorkommen,
sondern dienen nur als geistige Basis oder Hintergrund.
In zahllosen Notizbüchern sammelt sie Ideen, die
jederzeit kommen können. Sie gehört nicht
zu "jenen zwanghaften Autoren", die regelmäßig
zu bestimmten Zeiten arbeiten, mit einem kleinen Kind
geht das noch weniger. Aus Zeitgründen schreibt
sie alles in den Computer, auch Gedichte.
Zu vorgegebenen Abgabeterminen
für Auftragsarbeiten
oder Wettbewerbe kommt der eigene Ehrgeiz, denn sie
will mindestens jedes zweite Jahr ein Buch herausbringen.
Derzeit gibt es sogar einen Stau in der Pipeline: Nach
dem soeben erschienen ersten Roman kommt im Herbst
ihr Essay "Messer" auf den Markt. Bereits
fertig ist ein nächster Gedichtband "Im Packeis",
der nächstes Frühjahr veröffentlicht
wird. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Theaterstück
zum Thema Bulimie und am nächsten Roman, der die
glorifizierten Themen Schwangerschaft und Mutterschaft "entzaubern" will.
Die Vielschreiberin Bettina Balàka ist ein
literarisches Multitalent: Lyrik, Erzählung, Roman,
Theaterstück, Essay - kaum eine literarische Gattung,
in der sie sich nicht erfolgreich betätigt hätte.
Vorlieben für eine bestimmte Gattung hat sie nicht, "alles
ist für mich gleich interessant, jedes hat seinen
eigenen Reiz". Also in der
Produktion habe ich fast immer schon alles gemacht,
ich habe auch schon
in der Kindheit versucht, Theaterstücke zu schreiben,
genauso wie Gedichte und Erzählungen, aber in
der Publikation habe ich erst mit Lyrik begonnen, dann
kamen kürzere Prosatexte, jetzt der erste Roman.
Ich betrachte mich als Textproduzentin, um das einmal
schlicht auszudrücken. Das ist ja das Spannende,
wenn man sich mit verschiedenen Formen befassen kann.
Ein unverkennbares Markenzeichen
für Bettina
Balàkas Stil ist ihre dichte Sprache, ein fein
gesponnenes Gewebe, das beachtliche poetische Qualitäten
aufweist. Bis dahin hat sie aber einen weiten Weg zurückgelegt: "Für
mein eigenes Schreiben war es unumgänglich, in
aller Respektlosigkeit die internalisierten Deutschlehrerinnen
mit ihrem erhobenen Zeigefinger meines Gehirns zu verweisen",
erinnert sie sich. Das war der Beginn eines zähen
Kampfes: Ich musste erst etliche Bücher "experimentell" schreibender
KollegInnen lesen, um wirklich glauben zu können,
dass kein Blitz aus dem Olymp fährt, wenn man
das vorgegebene Regelwerk durchbricht. Heute beansprucht
sie "die absolute Oberhoheit über meine Sprache:
Syntax, Grammatik, Orthographie, Interpunktion sind
meine Materialien, die ich je nach Intention des Textes
bearbeite". Das bedeutet lustvolle Regelbrüche
ebenso wie ein scheinbares Einschmiegen in die ‚Normalität',
um auf einer tieferen Ebene zu wirken.
Was hält sie als von der gegenwärtigen deutschsprachigen
Literatur? Das Schöne an der deutschsprachigen
Literatur ist, dass sie jetzt in eine Phase eingetreten
ist, wo alles möglich ist, wo vieles parallel
existiert. Es gibt noch genauso die mittlerweile klassische
experimentelle Literatur und es gibt keine Dogmen mehr,
sondern jeder macht das, was er kann und was ihm liegt.
Es gibt von einer Christine Huber, die extrem experimentell
ist, bis zu einem Robert Schneider, um ein Beispiel
des völlig banalen Erzählens zu nennen, so
ziemlich alles am Markt, und der Leser kann sich selber
aussuchen, was ihm zusagt.
Allerdings haben sich Werbung und
Journalismus sehr stark an den Techniken und Erkenntnisse
der experimentellen
Literatur bedient, möglicherweise, weil sich viele
Literaten als Werbetexter betätigt haben. Somit
kam es zu starken Vermischungen. Manche Sprachspielereien
sind sogar schon so stark in die Werbung eingegangen,
dass sie für die Literatur damit unbrauchbar geworden
sind, meint sie. Kürzlich etwa las sie im Schaufenster
das Wort "Gehfühl", das schon vor zehn
Jahren im Gedicht eines Kollegen vorkam. Wenn
Literatur klingt wie eine Humanic-Werbung, ist es tragisch.
Aber
das eigentlich Schlimme ist, dass wieder einmal die
Kohle an andere geht und die, die es erfunden haben,
sind die sogenannten Außenseiter in der Literatur.
Wohin kann man jetzt noch aufbrechen,
wenn diese sprachlichen Möglichkeiten schon
besetzt sind? Ich gehe in der Prosa und auch in der
Lyrik eher wieder ab von
der Zerlegung des Wortes. Es ist ja generell in der
Kunst schwierig, immer wieder innovativ zu sein, denn
alles Neue wird kurz darauf zum Mainstream, das geht
immer schneller.
Ob und wie Schriftsteller auch
sprachlich auf neue Töne in der Politik reagieren, muss sich erst
herausstellen. Es gibt verschiedene
Möglichkeiten:
mit den selben Mitteln arbeiten, also den Bierzeltjargon
zu verstärken und damit zu entlarven, indem man
ihn übersteigert und ironisiert, oder umgekehrt,
dass man als Gegengewicht wieder subtilere Sprachformen
verwendet. Wichtig ist, dass man sich nicht auf ein
gewisses Niveau darunter begibt. Schläge unter
die Gürtellinie, das ist zu billig.
Willi Hengstler in korso Nr. 12,
Dezember 2005:
Bei einem Literaturpreis weiß man ja nie, wie
toll die unbekannten Verlierer waren. Aber bei „The
Blitz Experience“, dem Siegertext für den
Literaturwettbewerb der Akademie Graz 2005, hat man
das sichere Gefühl, dass Bettina Balàka
Sieg und den vom Bundeskanzleramt gestifteten Preis
absolut verdient. Sie nimmt das Thema der Akademie „Österreich
heute: 50 Jahre nach dem Staatsvertrag“ zum Anlass,
um eine ganz allgemeine und sehr aktuelle Thematik
zu behandeln. Wobei Emil Breisach, Präsident der
Grazer Akademie, in seiner gepflegten und routinierten
Einleitung darauf hinwies, dass es diesmal deutlich
weniger Einsendungen zu dem sperrigen Thema gegeben
habe.
Balàkas Ausgangspunkt sind nicht, was vielleicht
nahe liegend gewesen wäre, Bilder oder Filme,
sondern das Heeresgeschichtliche Museum Wien und vor
allem das War Museum in London. Wie lassen sich Krieg
und Grauen darstellen? Wie kippt Aufklärung in
Geschmacklosigkeit? Wie authentisch können Erinnerungs-
und Leidensarbeit im inszenierten Rahmen sein? Wie
geht eine Zivilisation, die sich an der ästhetisch-ideologischen
Vorlage von Disney-World orientiert, mit dem historischen
Horror oder Schuld und Sühne um? Wobei Bettina
Balàka für Österreich zunächst
die Möglichkeit ausschließt, Disney-Strategien
zur Aufarbeitung der Geschichte heranzuziehen (wie
sie etwa im Londoner War Museum Verwendung finden).
Bis sie Robert Menasse in London hört, der sich über
Konzepte zum österreichischen Gedenkjahr erregt.
In Wien soll eine Bombennacht inszeniert oder der „Belvederebalkon“ durch
die Bundesländer geschickt werden, um den Bundesbürgern
endlich eine Chance zu geben, „Österreich
ist frei!“ zu rufen. Daraus wurde nichts, wie
man weiß. Balàka verschärft ihre
Perspektive bis ins Persönliche. Sie erzählt,
wie sie per Zigarette (vielleicht) Brandalarm, Evakuierung
und Feuerwehreinsatz in ihrem Hotel auslöst, ihre
(mögliche) Mitschuld verschweigt und damit in
die Rolle eines (möglichen) Opfers und Mittäters
zugleich gerät. Ein toller Text, den man in den
neuen Lichtungen Nr. 104 nachlesen kann und für
den Balàka am 9. Dezember gemeinsam mit Franz
Schuh auch die „Auszeichnung für literarische
Gedankenblitze im aufgezogenen Jubelgwölk“ erhalten
wird – einen einmaligen von 11 großen österreichischen
Literaturveranstaltern gestifteten Preis.
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