Schaumschluchten
Markus Bundi, Felix Schneider und Susanne-Marie Wrage in "Neue Gedichte - Wie wir sie lesen, wie wir sie verstehen", DRS 2, 10.4.2009:
Werner Krause in der Kleinen Zeitung, 9. Mai 2009:
„Wenn alles aus den Farben flieht“
Es wäre weltfremd, Bettina Balàka lediglich als eine der produktivsten Gegenwartsautorinnen zu bezeichnen. Denn markiert ist diese Schreibzuflucht durch ständig faszinierende Ausdruckskraft. Ihr erster Roman trug den Titel „Der langangehaltene Atem“; dieses Gefühl, dieser Druckzustand, vor allem aber der nachfolgende Moment des plötzlichen, eruptiven Luftausstoßens, der Befreiung aus beklemmenden Zwangslagen, prägt ihren jüngsten Lyrikband „Schaumschluchten“.
Ein anarchistisches Aufbegehren steckt in den titellosen Gedichten; es richtet sich gegen das Schlachtfeld der geheuchelten Alltagsnormalität, es zeigt die rissigen Fugen, den giftigen Wortschaum, der täglich über uns hinwegschwappt, ohne dass wir daran ersticken. Mit den Worten „Wenn alles aus den Farben flieht...“ beginnt eine der oft düsteren Zustandsbeschreibungen. Sie durch Schönfärberei zu ändern, liegt Bettina Balàka fern; sie in ein anderes Licht zu rücken, darin liegt ihre lyrische Virtuosität und Eindringlichkeit, die sehr, sehr nahe geht.
Wilhelm Pauli in der Kommune 3/2009
Bettina Balàka (1966) hat in Schaumschluchten einen gewissen Mütterschwerpunkt gesetzt. Ich warne vor Zahnen. Denn die Frau hat ein durchaus loses Mund- und Hirnwerk, das gleichzeitig federnd und fließend formatiert. Gleich im zweiten Gedicht schon, im ersten werden Frauen operativ optimiert, lesen wir: „Die werdenden Mütter / werden zu Werwölfen / Flaum bildet sich / an ihren Schläfen / Pigmente umbräunen / den Mund ...“, während im Kontergedicht bei den WERDENDEN VÄTERN es eher so zugeht: „... (sie) brüten über Geldscheinen / kaufen sich neue Stereoanlagen / um sie zu bemuttern // sie betrinken sich abends / um am Morgen / übel zu kotzen // und dann die Wehen / und die Drachen / in der Nacht.“ Ja Balàka macht sich über Männer und Frauen, Träume und Schäume, Gespenster und Natur her, wobei die Natur dem Menschen nicht das andere ist, sondern ein eingefressener Sonderteil, nicht immer schön anzusehen. Alltagsgedichte, könnte man aufwärmend wieder einmal sagen, begreifend jedoch, dass Alltag ziemlich unterschiedlich sein kann. Alltagsgedichte auf hohem sprachlichen Niveau. Alltag ernst genommen, nicht ohne leichten Zynismus, nicht so ein Dahinlallen.
Judit Leister in www.literaturhaus.at
http://www.literaturhaus.at/index.php?id=7258&L=0%2F
MARKUS BUNDI in der Aargauer Zeitung, 11. April 2009:
IM RAUSCH DER BILDER
Was ist wahr? Am ehesten das, was im Märchen steht – oder im Gedicht. Nach den Bildern ist vor den Wörtern; und wenn Wörter zu Bildern werden, ballt sich die Zeit: «Ausgebrannt/ ein zerrissenes Haus / zerrissene Bücher» – So beginnt ein Gedicht Bettina Balàkas (43), eine Bestandesaufnahme nach der Katastrophe:«und dahinter / steht garantiert / ein blühender Kirschbaum / dem es egal ist / wie viele Bomben vor einer Woche / noch trafen». Da ist Blut geflossen, Kinder wurden zu Greisen: «doch was ist wahr / die Gebeinsasche? / das mittsommernächtliche Fest?» Die 1966 geborene Österreicherin weiss virtuos mit scharfen Schnitten umzugehen, zugleich schafft sie (Sprach-)Bilder, die Fluchtwege aufzeigen, gar Trost sprechen; in diesen Zeilen treffen Härte und Harmonie aufeinander, gehalten in einem labilen Gleichgewicht zwischen Ernüchterung und Rausch. Wahrhaftig!
Neue Zürcher Zeitung, 9. April 2009:
Jdl. Wer «den Tod / in seiner Hütte besucht», der kann manches erzählen. Dass der Tod eine «hässliche Tapete» hat, gehört dabei noch zu den harmloseren Entdeckungen. Vom Tod und vom Teufel schreibt die österreichische Schriftstellerin Bettina Bàlaka in ihrem neuen Gedichtband «Schaumschluchten». Es sind Exkursionen in die Hölle eines Pandämoniums. Aufgebahrt «zwischen seinen Hirschköpfen» liegt «der alte Kaiser», weder von den Moorleichen noch von den «werdenden Müttern» ist Gutes zu berichten: Letztere «werden zu Werwölfen», und «sie singen / ein schiffshohles / ankerabgeschnittenes Lied». Selten wird in der jüngeren Lyrik eine expressive Düsternis verbreitet, wie sie Bettina Bàlaka geradezu programmatisch evoziert. Es ist ein sich im Mythologischen alimentierender Zorn, der sich in den Langgedichten Bahn bricht. Gegen allen schönen Schein des Poetischen schreibt die Autorin an, auch gegen den des Mondes: «Der Mond ist ein Verräter / er hat keine Silberstimme / und keinen milden Gesang.» Es bleibt in diesem etwas künstlichen Universum des Unbehagens nur «das Kieferklicken der Spinnen».
Programm der Alten Schmiede Wien, Mai, Juni, Juli 2009:
„in all den wüsten Räumen / die leergeflohen sind“, lautet der Schluss des letzten Gedichts von „Schaumschluchten“ von Bettina Balàka (*1966) und könnte somit Fazit sein zu dem Kaleidoskop der Töne und Themen, das ein „ich“ zu verwirbeln versteht, so, dass ein Miterleben und Sich-Identifizieren nicht ausbleibt.