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road movies
Petra Nachbaur in Literaturhaus Online, 27. April
1998:
http://www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/balaka/
Maria Renhardt im Standard, 20. Februar 1998:
Geduld ist angesagt für die Lektüre im
apfelgrünen Umschlag mit zartlila Füßen
drauf, bedingungsloses Sich-Einlassen auf den Text,
der viel Aufmerksamkeit erfordert, um sich in diesem
atmosphärischen Treiben der Worte zurechtzufinden.
Die in Wien lebende Autorin Bettina Balàka
hat sich road movies verschrieben. "niemand
kann immer nur in der einen welt bleiben, man muß auf
den zäunen auch reiten, mit dem januskopf
auch auf die andere seite der torbögen sehen."
Aufbrüche, Ausbrüche, torsohaft - nur
ein Versuch, halten als thematischer Magnet die
einzelnen Erzählungen zusammen. Hier kreisen
neun, voneinander unabhängige Episoden situative
Wahrnehmungen von Frauen ein. Aber Plot im herkömmlichen
Sinn gibt es keinen. Denn nur selten nimmt Balàka
den Handlungsfaden auf und gestaltet ein präziseres
Lebensbild. Ansonsten schachtelt sie Erinnerungen,
Imaginationen oder Reflexionen um punktuelle Ereignisse.
Aufgeladen mit brisanten gesellschaftlichen Verhaltensmustern
fördern sie unter der sensorisch tastenden
Sprache ganz beiläufig auch Verlogenes, Krankes
und Gewalt zutage: Frechheiten der Ausländer,
die so tun, "als gehörte ihnen DIE GANZE
WELT". Den Scherz zum Randlos-Kappenträger: "bist
leicht a jud?" Neben "sich drängenden
vertriebenen" kauert "das junge leben
am stecken, am krückstock, im dreck" oder
passiert ein Frauenmord in der Idylle, im "herrlichsten
wildwasser". Permanent kippt weibliche Beschädigung
an die Oberfläche. Vergewaltigung, Mißhandlung, "spiralen
der gewalt", die "zuhause versteckt" sein
können "wie landminen". Da flüchtet
man gern in die biedere Ordnung der kleinen Dinge
zwischen Gartenzwergenromantik und Lebkuchenherz.
Als Kind einzementiert in "sätze, die
in die realität einführen"; diese
Erziehung stößt "faltengebügelte
röckchen" und "weiße söckchen" auf;
geblieben ist der "geflochtene türkranz".
Ja, sonst geht man "still durchs leben".
Viele Figuren fühlen sich in seltsamer Weise
gefangen - weniger physisch, als emotional -, während
das Schielen nach "einer anderen welt" oft
in der Virtualität versandet. Ihre Aufbruchsversuche
sind kaum wirkliche Bewegungen, bleiben buchstäblich
stecken; manchmal werden sie nicht einmal zu einer "inneren
reise" oder vertäuen sich zu flirrenden
Träumen.
Mit großer poetischer Kraft durchmißt
Bettina Balàka die Imaginationsräume
der Sprache. Sie trennt "zusammenGEFÜGIGES, überklebt
klüfte, schafft verbindungen". Dabei
verschiebt sie Bruchstücke aus Märchen,
Redewendungen, Literaturzitate, bricht Worte auf
und stellt sie assoziativ in neue Sinnzusammenhänge.
Mit arabeskenhafter Leichtigkeit erzielt sie dabei
die Ästhetik eines neuen Sehens. Und immer
wieder schlägt die Lyrikerin durch, im Weg
vorbei an den "eiskleidern an den alleinstehenden
tannen", den "windgeschmolzenen bräuten",
die "eine dunkle kuhle um ihren zugespitzten
fuß atmen"; "ein zirpvogel silbert
gefroren" im Schnee. Balàkas road movies
entblößen das Erträumte, Dunkle
und Gärende, um es virtuos einem Hologramm
der Empfindungen zurückzugeben.
Kleine Zeitung,
24. Februar 1999
Während andere ausziehen, das Fürchten
zu lehren, konzentriert sie sich auf den Akt des
Aufbruchs. Die Autorin Bettina Balàka hat
mit ihrem neuen Erzählband "road movies" gleich "9
versuche aufzubrechen" unternommen. Erfolgreich
angekommen ist die 32jährige bereits mehrmals,
zuletzt im Bundeskanzleramt in Wien, wo sie den
Förderungspreis für Literatur entgegengenommen
hat.
"
road movies" sind Reisen in die Welt der Assoziation,
jedes Wort ist eine Weggabelung in viele Richtungen,
die Wege ergeben ein Gespinst rund um die Welt.
Die Geschichten bleiben Phantasmagorien, die aber
dennoch die Bodenhaftung nicht verlieren. Balàka
vollzieht dies durch konkrete Hinweise auf Personen,
Landschaften oder Vorfälle. Ihr erzählerischer
Stil ist an ihr lyrisches Ausdruckstalent angelehnt.
Sie arbeitet auch im Prosatext mit Stabreim und
starker Bildsprache.
Inhaltlich ist das dritte Werk - nach dem Lyrikband "Die
dunkelste Frucht" (1994) und dem Erzählband "Krankengeschichten" (1996)
- ein Aufbruch ins Land der Frauen. Erzählt
wird von Witwen, Prinzessinnen und Heldinnen, ebenso
wie von den Opfern im Kosovo.
Kathrin Glosch in
Script 14/1998:
Statt Auf-Brüche lediglich Übergänge.
Nur zwei der neun Versuche gelingen, sofern man
einen Ortswechsel ohne Reue als Aufbruch bezeichnen
kann, sofern es überhaupt Aufbrüche geben
kann, sofern Aufbrüche nicht immer das zwangsläufige
Resultat eines Zustandes sind und damit keine Leistung,
sondern Unabwendbarkeit. Doch geht es Bettina Balàka
nicht darum, Bilanz zu ziehen über Mut und
Unmut ihrer gefangenen Figuren, sondern um die
Bestandsaufnahme ihrer Nöte, Bedrängnisse,
Zwänge und Unerträglichkeiten, mit ätzenden
Worten schreibt sie ihnen Wunden, seziert mit tiefem
Schnitt die Verletzungen. Diese Inventur, der auch
die brillanten Sprachspiele der Autorin keine Unbekümmertheit
einschreiben ("wenn man im schnee das gefühl
hat, daß man halb, daß man ganz wahnsinnig
wird vor verdursten. wenn das kein shower-märchen
ist: nackt in einer psychotischen dusche."),
ist grausam, weil sie Grausames reflektiert. Dabei
ist das Grundmuster von Opfer und Täter die
konsequente Weiterführung des bereits in ihrem
Erzählband "Krankengeschichten" von
1996 entworfenen Musters: Gewalt und Dominanz ist
Männersache. Ausgeführte, angedrohte,
erahnte Vergewaltigungen sowie die von Männern
begangenen Naziverbrechen liegen wie eine Glasglocke über
den Texten und erzeugen damit das bedrückende
und bedrängende Gefühl, das einem Aufbruchsversuch
vorausgeht, nicht nur auf der Textebene, sondern
ebenso im Rezipienten. Auch die Symbolik der "Krankengeschichten" wird
wieder aufgenommen, wenn in "road movies" Zähne
und Zahnschmerzen, wie bereits meisterhaft in Ionescos "Die
Unterrichtsstunde" umgesetzt, als Metapher
für Gewalt und Macht des Mannes gesetzt werden.
(...)
Nicht immer verlaufen die Aufbruchsversuche linear.
Manchmal verharren sie am Ausgangspunkt, am Grund.
Die Gründe sind vielfältig: die Sorge
um das Auto, im Auto, das einen aus der Angst hinaus
transportieren soll ("ein blick aus der laterna
magica", 1. versuch, "die fährnis
der vögel und züge", 6. versuch),
die Sorge um aufgebrochene Türen, die Angst
vor der Vergewaltigung, die Angst vor der dunklen
Seite des Ich ("über teufel und engel",
2. versuch), die Angst zu gehen, auch wenn man
an dem Ort, der Burg, in der man sich aufhält,
nur ein geduldeter Gast ist, der sich seine Nahrung
heimlich besorgen muß, ohne dabei Spuren
zu hinterlassen ("in der burg", 4. versuch),
der Terror durch die Präsenz des Ehemannes,
die Angst vor seinen Schlägen, und mit den
Freundinnen kann man nur über Krankheiten
reden ("erna", 5. versuch).
Da Leib- und Lebensraum bedroht sind, da man sich
von etwas fortbewegen muß, sind alle diese
Erzählungen gleichsam Texte über Orte.
Wenn die Protagonistin in "erna" an der
Präsenz ihres Ehemannes in der gemeinsamen
Wohnung erstickt, so helfen ihr auch die leidenschaftlich
gesammelten Landkarten nichts, all die Andersorte,
die Häufung von Utopia, vermögen nichts
auszurichten gegen die Bedrohung in den täglichen
Quadratmetern. Es sind Texte über Züge, über
Orte, an denen Menschen essen, die noch Hunger
haben, über Häuser, die zur Last werden,
weil sie das Reisen behindern, denn man muß zu
ihnen zurückkehren und selbst unterwegs, ausbrechend,
um sie und um das, was sie enthalten, fürchten: "wer
ein zuhause hat, hat sorgen. von denen man fort,
vor allem, wenn man zurückkehren will. (...),
der herd wird bei abreise abgedreht. texte sitzen
gefangen im computer, auf disketten verteilt in
der stadt." Jeder Aufbruch also obsolet, gleichgültig
aus welcher der wechselnden (Erzähl)perspektiven
er auch unternommen wird. Überaus beeindruckend
ist die Vielschichtigkeit der Sprache, die Bettina
Balàka, ausgezeichnet mit dem Staatsstipendium
für Literatur 1997/98, so überaus subtil
und brutal einzusetzen vermag, daß ihre Mehrdeutigkeit
die Komplexität der Ängste und Bedrohungen
nicht nur reflektiert, sondern noch steigert. Durch
die verschiedenen Sprachräume eines einzigen
Bildes werden unzählige Angstorte geschaffen,
alle unbenennbar, alle gegenwärtig.
Werner
Schandor in der Wiener Zeitung, 5. Juni 1998:
Wer
den Begriff "Road Movies" hört,
erwartet sich Kinoleinwände, auf denen endlose
Landschaftsfluchten an Protagonisten vorüberziehen,
die ihre Fahrten mit existentiellen Dialogen bereichern.
Die poetische Entsprechung zu solchen cineastischen
Erfahrungen legte nun die Wiener Autorin Bettina
Balàka mit ihrem poetischen Erzählband "road
movies. 9 versuche aufzubrechen" vor. Der
Titel verweist auf eine Gattungsbezeichnung, und
die Gattung auf Geschichten von Verwandlung, Werdung,
aber auch Vergänglichkeit. Die Fahrten, von
denen in neun miteinander kaum verknüpften
Texten berichtet wird, finden allerdings nicht
in freier Natur statt, sondern im Kopf, genauer
gesagt: in der Sprache der Erzählerin.
Die "9 versuche aufzubrechen" berichten
von mythischen Figuren, Reisebewegungen oder Frauenschicksalen.
Aber "aufbrechen" meint in Balàkas
Texten nicht nur Ortsveränderung, es hat auch
mit dem Aufbrechen verkrusteter (Sprach-)Strukturen
zu tun, gegen die die Autorin auf vergleichsweise
behutsame Art anschreibt. Balàka erzeugt
Vieldeutigkeit, indem sie die Bedeutung einzelner
Wörter durch Abwandlung hinterfragt.
"
jemand hat einmal versucht AUFZUBRECHEN, jemand
hatte meine wohnung aufzubrechen versucht." Mit
diesem Satz wird zum Beispiel eine der Erzählfährten
ausgelegt, an denen der Leser von einem Schlüsselwort
zum nächsten geführt wird, wobei sich
freilich nicht jede Fährte fortentwickelt
und auch nicht jede aufgeworfene Frage in eine
Antwort mündet. Erzählungen, Sachverhalte,
Möglichkeiten so offenzulassen, daß sie
sich auch bei mehrmaligem Lesen gegen Eindeutigkeiten
sträuben, gehört zu den Qualitäten
dieser "road movies".
Eine andere Qualität ist Balàkas Sprache,
die sie als angestammte Lyrikerin ausweist. Variationen,
Assonanzen und nicht zuletzt die starke Rhythmik
ihrer Sätze lassen nichts Gegebenes auf sich
beruhen. Manche ihrer Texte erinnern durch etwas,
das man eine Poetik der Andeutungen nennen könnte,
an die sprachliche Sensibilität von Ingeborg
Bachmann, allerdings auf eine zeitgemäße
Weise. In anderen Passagen reiht sie sich, wenn
sie für ihre Figuren nur grimmigen Spott und
Häme übrig hat, in die "Generation
der Kinder Jelineks" ein, wie Droschl-Lektor
Rainer Götz bemerkt.
Bettina Balàka selbst bestätigt Affinitäten
zu beiden Autorinnen. Sie habe sich, meinte sie
in einem Gespräch, auf der Suche nach einer
eigenen literarischen Identität sehr intensiv
mit der Tradition österreichischer Autorinnen
auseinandergesetzt. Ihre "road movies" jedenfalls
zählen zu den faszinierendsten Versuchen,
von den literarischen Ausgangspunkten ihrer Vorgängerinnen
aufzubrechen.
Helmut Kretzl in den Salzburger Nachrichten,
20. Juni 1998
" die welt war flach und zauberhaft und fern,
durch die sprechschächte in den mauern drangen
gnomen und geister. wir hatten angst, wir befürchteten
uns aufzulösen, wir tropften durch den fußboden
hindurch." Sehnsucht nach Leben und Welt,
zugleich die Angst davor - zwischen diesen beiden
Polen schwanken die Figuren in dem Prosaband "road
movies. 9 versuche aufzubrechen" der jungen
Salzburger Autorin Bettina Balàka, der vor
kurzem im Grazer Verlag Droschl erschienen ist.
Dem Titel des 117 Seiten dünnen Bandes zum
Trotz kreisen die Texte um die Kehrseite des Reisens,
das Daheimbleiben. Balàkas road movies zeigen
nicht weltenbummelnde Abenteurer wie Odysseus,
sondern Frauen wie Penelope, die 20 Jahre lang
auf ihren Gatten wartete und sich die Zeit mit
dem Weben eines Leinengewandes vertrieb - das sie
nachts wieder auftrennte, um ihre Freier hinzuhalten.
Die "Heldinnen" - bis auf eine Ausnahme
sind alle wichtigen Figuren Frauen - kümmern
sich stattdessen um den Haushalt, gießen
Blumen und unternehmen höchstens "optische
Zimmerreisen".
Gemeinsam ist den in unterschiedlichen Lebenssituationen
und Befindlichkeiten gefangenen "Heldinnen" des
Buches das Warten auf das Leben, auf die Erlösung
aus einem zutiefst unbefriedigenden Alltag, dessen
Leere sie mit Hausarbeit und dem Schaffen von Ordnung
zu füllen versuchen. Ihren Hunger nach Welt,
nach Reisen, nach Leben stillen sie nur fiktiv,
durch Lesen, durch Träume vom Fliegen, durch
Fernsehen, durch Wunschdenken. Sie alle wissen,
daß es so nicht weitergehen kann: "ich
muß, ich muß, weiß erna, mir
die stunden schaffen wie räume, die frei sind
von klunker und leuten und leer. ich muß sie
verlassen: die kleine welt der tiegel und krügel
- oh, die gibt aber sicherheit!"
Es bleibt beim Wunsch nach Aufbruch, die Flucht
aus dem zermürbenden Alltagsleben gelingt
praktisch nie. Angst, Trägheit, Lähmung,
Fallen im eigenen Denken hindern die Protagonistinnen,
zu handelnden Personen zu werden. "ich hatte
geglaubt, daß das mitgenommenwerden zum aufbruch
genügt", heißt es einmal resigniert.
Schuld am Scheitern sind nicht die anderen, sondern
jeder einzelne selbst.
Am Ende bleibt das Zurückgeworfenwerden auf
die eigene trostlose Existenz: "ich bin wieder
da um vier in den wänden, obwohl ich ausgegangen
war, und davon ausgegangen bin, daß alle
wege zu bewegen sind: ich habe nur eine nicht einmal
innere reise gemacht. ich habe die augen geschlossen,
und aus meiner brust schoß kein psychedelischer
weltenpfahl." Fazit: "am herd ist es
doch am schönsten, oder in einem blumengeschäft."
Bleibt nur noch die Flucht in die Fiktion: "und
wenn eines tages mein lied zurückklingt, (...)
dann ist es wohl jemand wie blondel, der gekommen
ist mich zu befreien." Dem schönen Traum
will aber nachgeholfen sein: "von den märchenprinzen
müssen wir träumen, die tauchen nicht
in der wirklichkeit auf - außer wir erschaffen
sie." Doch nicht einmal die Wunschbilder können
ungehindert genossen werden, negative Erfahrungen
funken dazwischen: Erna "verspürt keinerlei
sehnsucht mehr beim anblick von karibischen stränden,
denn sie weiß, daß man die insektenplage
nicht sieht, daß es nur die schöne kamereinstellung
ist."
Anstatt Geschichten im herkömmlichen Sinn
zu erzählen, skizzieren die road movies virtuos
Befindlichkeiten und ähneln damit mehr Dokumentar-
als Spielfilmen. Ob die Heldinnen ihr Schicksal
bedauern, sich Traumbildern, Erinnerungen, Hoffnungen
oder religiösen Verzückungen hingeben:
die Sprach-Kamera läuft ständig mit,
leuchtet die dunkelsten Ecken des Bewußten
und Unbewußten aus, wodurch mitunter monströse
Schattenbilder zum Vorschein kommen.
Die gekonnte Kombination aus filmischen und sprachlichen
Stilmitteln - die Absätze sind mit Filmeinstellungen
vergleichbar - läßt uns die Lebenswirklichkeiten
der Personen ebenso erleben wie ihre Fantasie-
und Wunschwelten. In langsamen Schwenks führt
die Autorin durch Seelenlandschaften, Assoziationsketten
werden aneinandergereiht. Immer wieder blitzt das
lyrische Talent der Autorin auf ("ein zirpvogel
silbert gefroren"), das Balàka 1993
den Alfred Gesswein-Preis für Lyrik eintrug.
Immer wieder wird die Sprache als Transportmedium
hinterfragt.
Aufgrund ihrer bildreich verdichteten Sprache erschließen
sich diese Texte über Bewegung und Geschwindigkeit
nicht immer sofort, sondern erfordern langsames,
konzentriertes Lesen. "das ist eine geschichte,
die sich nicht geschmeidig in ein hirn einfügt." Gerade
deswegen wird die Lektüre dieses Stücks
Gegenwartsliteratur zu einem Abenteuer, zu einer
Reise durch fremde Welten, die dabei doch so nahe
liegen.
Ilse Kilic in AUF 100/1998:
In neun Prosatexten umkreist
Balàka die
Versuche von Frauen, ihr "Schicksal" in
die Hand zu nehmen. Was ist "Schicksal?",
fragen die Texte. Ist es bloßer Druck von
außen oder (Gegen)Druck von innen, ist es
die Verkettung unglücklicher Zufälle,
ist es das Bild einer gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit?
Von wo aus werden Entscheidungen getroffen, die
eine Person zur handelnden und nicht nur zur "behandelten" machen?
So mancher Text erinnert an das Märchen vom
Hans im Glück - vom Regen in die Traufe rutschen
die Protagonistinnen - und kein Ende in Sicht...
manchmal allerdings so etwas wie ein "Ausblick",
ein in die Richtung des Aufbruchs weisendes Fenster...
Bettina Balàka bewegt sich sprachlich zwischen
Erzählung und Beschreibung, zwischen zerreißenden
Metaphern und (Wort)Proben aufs Exempel: "aufbrechen" etwa
bezeichnet auch das gewaltsame Öffnen einer
Türe... hier wieder ein Bezug zum Märchen,
zum "ich" als Haus(meisterin), das genau
abwägen muß, was feindlich ist und nicht
herein darf, auch wenn z.B. im Märchen der
böse Wolf die sieben Geißlein zu täuschen
versucht. Was aber ist lebensnotwendig und muß herein
und wie kann man es vom Bedrohlichen unterscheiden?
Und wie kommt etwa Erna wieder heraus aus den Verhältnissen,
hinaus aus ihrem "Zuhause", in dem sie
sich als Haushälterin fühlt und in dem
ihre Schneidezähne so oft wackeln von den
Schlägen des Mannes, der sie zu lieben vorgibt?
GIB BLOSS ACHT, ruft es aus den Texten von Bettina
Balàka heraus, trotz oder gerade wegen ihrer
frostig-klirrenden Sprache, die nicht beschützen
kann und nichts beschönigt - eine Sprache,
die sich der Verhältnisse selbst zu schämen
scheint und sich ihnen widersetzen will.
Janko Ferk
in Der Presse, 22. August 1998:
Unerwartet und schnell
ist man in einer Prosa mit Tempo, wenn man beginnt,
Bettina Balàka "road
movies" zu lesen. Vom ersten Satz an hat man
den Eindruck, die Autorin versuche, "draufgängerisch
zu sein ohne draufzugehen", zumal sie die
Sprache mutig an Grenzen führt, ohne im Niemandsland
der Wörter stehenzubleiben. "jedes wort
ist entkleidet, und wieder angezogen." Eines
ist bald sicher: In diesen "road movies" gibt
es keine Langeweile, auch nicht für Anspruchsvolle.
Balàka kann mit Sprache umgehen, was auch
ihre Definitionen belegen: "und ich sage:
ich klage nicht: ich klage an." So schafft
sie Spannung, die sich nicht aus einer Epik ergibt,
sondern aus wuchernden Assoziationen und deren
Zusammenschluß. Sie erzählt keine langwierigen
Geschichten, sondern flotte Sequenzen, wobei sie
schneidet, überblendet, ausleuchtet und dann
ein Ende setzt. Die Aneinanderreihung lautet zum
Beispiel wie folgt: "eine kirche also ist
eine darstellung des hauses gottes. eine kirche
aus legosteinen ist eine darstellung einer kirche
aus steinen. minimundus ist die welt. die kirche
ist eine darstellung der gemeinschaft der gläubigen.
die kirche ist ein graskopf, ein bachschopf, ein
heuball, ein deck: ein brennendes deck, und im
orgelgebälk das geläuf vieler nager." Bettina
Balàka arbeitet aber nicht nur, wie ersichtlich,
mit der Kleinschreibung, sondern auch mit versalen
und kursiven Hervorhebungen.
Die Autorin zeichnet Bild um Bild, es wird enorm
viel geschildert, doch mit dem Nacherzählen
tut man sich schwer. Fast ist es wie mit einem
Traum, man hat eine Erinnerung, ein Gefühl,
aber den Inhalt kann man nur lückenhaft wiedergeben.
In der Folge ist sie wiederum sehr konkret, schreibt über
Essen, Rauchen und Wohnen, erzählt einfach
und nachvollziehbar, verliert sich aber bald wieder
in ihren assoziativen Verästelungen, mäandert
mit Silben, Wörtern und Fremdwörtern.
(...)
Bruno Lässer in den Vorarlberger
Nachrichten, 14. November 1998:
Das Unterwegssein als Metapher
für die Suche
nach Orientierung und Sinnhaftigkeit bildet den
Schwerpunkt einer Reihe literarischer Neuveröffentlichungen.
Auch der Prosaband "road movies" der
in Salzburg geborenen Bettina Balàka ist
dieser Kategorie der in lebhafter Bildsprache verfaßten
Alltagsminiaturen zuzurechnen. In neun Geschichten
entwickelt die Autorin Portraits unterschiedlichster
Frauenschicksale, Momentaufnahmen mit teilweise
unverkennbar autobiographischen Elementen. Neunmal
unternimmt sie den verzweifelten Anlauf, eine gelungene
Biographie mit bescheidenem, notfalls sogar kleinbürgerlichem
Happy-End zu entwerfen. Das Scheitern der Glückssehnsüchte
geschieht dabei nicht mit großem melodramatischen
Getöse, die Tragik äußert sich
viel subtiler in Form von Stilleben des stillen
Leidens. Das Verkümmern aller Hoffnungen hat
bei Balàka seinen Ursprung nicht in großen
Schicksalsschlägen, es sind eher die überlieferten
sozialen Strukturen und Verhaltensmuster, die weitaus
wirkungsmächtiger und lähmender für
eine traurige Resignation im Sinne selbsterfüllender
Prognosen sorgen. Die "road movies" beziehen
ihre Qualität aus der feinnervigen Analyse
alltäglicher Unzulänglichkeiten mit den
Stilmitteln des literarischen Sozialrealismus.
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