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Zu dünn, zu reich
VANESSA:
Schon meine Großmutter hat in diesen Spiegel
gesehen und nach den Stellen gesucht, wo sie nicht
schön war. Ihre Schwestern haben auch viele
Blicke hineingetan und die Schürzen zurechtgerückt,
schon von Kind auf. Was sie damals noch nicht hatten,
war der praktische Vergrößerungsspiegel.
(greift nach einem Handspiegel) Damit kann man in
jedem Gesicht die kraterartigen Poren und darunterliegenden
Unebenheiten und die schrecklich unterschiedlichen
Farbflecke sehen. Rötungen, weiße oder
bräunliche Narben, geplatzte Äderchen,
Pickel, Damenbärte und unter den Augen den grünlichen
Halbmond des Halbtods. (sieht wieder in den großen
Spiegel) Ob es mit meiner Großmutter begonnen
hat, kann ich nicht sagen. Vielleicht hat auch ihre
Mutter sich schon vor diesem Spiegel Nadeln in die
Kopfhaut gesteckt.
(hebt sich das T-Shirt hoch) Mein Bauch war von Anfang
an die ärgste Katastrophe. Ich hasse ihn. (schlägt
ihren Bauch) Ich hasse dich! Ich kann nicht einmal
ein Tank-Top tragen, ohne daß dieser Walroßwanst
hervorquillt und an Wölbung die Brust übertrifft.
Hinsetzen kann ich mich auch nicht, da wirft sich
das Ding sofort in Falten: eins, zwei, drei. Ich
kann nur stehen und den Nabel zum Rückenmark
saugen. Aber nicht einmal dann ist der Anblick erträglich.
Schuld ist das ganze Zeug, das da drinnen herumliegt,
diese Darmwürmer und der fette Gebärmutterklumpen,
der sich dann auch noch immer wieder mit fettigem
schwarzem Blut füllt. Kein Wunder, daß sich
das Monat für Monat aufschwemmt, wenn so ein
blödes Ei sich einzunisten versucht. Aber das
hab ich abgestellt, ha! Aus mir kommen keine faulenden
Gewebefetzen mehr heraus! Die biologische Uhr kann
mich mal. Die Unterleibsblutung hab ich aus mir herausgehungert,
die hat sich ergeben, die findet ohne Futter nicht
statt. Und so wird die Zeit und das Leben und der
Körper vom Naturpfuhl in eine geistgebotene
Richtung orientiert.
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